Vollmondritual in 
              Trogen, 28. August 2007 
              «Heilungsgeheimnisse und Rituale aus dem Himalaya»
              So der Titel eines workshop zum interreligiösen Dialog, den der Verein SOSOS (Solidarität und Spiritualität Ostschweiz, www.sosos.org) am Wochenende vom 18./19. August 2007 durchgeführt hat. Die Kontakte sind durch das Vorstandsmitglied Urs Baumgartner aus Altstätten aufgebaut worden,  Elisabeth Tröndle hat den Kurs als Programmleiterin organisiert. Ich konnte das Wochenende nicht besuchen, lies mir aber davon erzählen und besuchte dann das Ritual zum Augustvollmond am Mittwoch, 28. August 2007 bei Trogen.  
              Die Aktuere der Zeremonien waren zum einen Janga bahadur Bhandari (JB), Rai-Schamane aus dem Südosten Nepals, der seit seinem 13. Lebensjahr heilend tätig sein soll, zum andern Bal bahadur Gurung, sein Schwiegersohn, ehemaliger Flüchtling aus Bhutan, der als Übersetzer zugleich ein reiches Wissen über Schamanismus, Religionen, Heilpraktiken, Mythen und Kulturen Nepals besitzt. Dem Programm für das Wochenende entnehme ich auch die folgenden Angaben:   
              
                
                  «Der Weg des Schamanen ist der Weg der Liebe.»                         
                      «Sie trachten danach, Liebe, Harmonie und Frieden all jenen zu bringen, die an Leiden spiritueller Natur erkrankt sind. Zu den wichtigsten Aufgaben eines Schamanen gehört die Anrufung von Geistkräften, das sich Erinnern an seine eigenen Wurzeln in der Natur, und seine Handlungen in den Dienst des Guten zu stellen.» (Bal Gurung)  | 
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              Sowohl Buddhisten wie auch Hinduisten sind in Nepal  stark schamanisch geprägt. Gemäss Programm wollte der Wochenendkurs  eine Möglichkeit bieten, das einfache und tief spirituelle Leben von JB, wie er es  in der Landbevölkerung Nepals bis heute praktiziert, kennenzulernen. Die Teilnehmenden sollten Einblick erhalten in sein schamanisches Wissen, sein Verständnis der Natur, die schamanische Kosmologie und den Weg des Heilens. «Die Begegnungen mit JB ermöglichen einen tieferen Kontakt zum spirituellen Sein und dem schamanischen Bewusstsein. Es ist ein Weg, Verständnis und Impulse für das eigene Leben zu finden. Gemäss Programm war auch vorgesehen, die eigenen Erfahrungen zu reflektieren und mit der eigenen christlichen Prägung und Kultur in Beziehung zu setzen.  
              Das Ritual zum August-Vollmond am 28. August in Trogen 
              Für Elisabeth Tröndle war der Wochenendkurs ein Wagnis und ein Experiment. Asien ist nicht ihr Schwerpunkt, sie kommt vom Katharinenwerk, hat einen katholisch Hintergrund. Aber sie nahm das gut auf. Ich traf sie kürzlich und liess mir vom Wochenende erzählen. Da machte sie mich darauf aufmerksam, dass Janga bahadur Bhandari (JB) am 28. August, 19 bis ca. 21.30 Uhr ein Vollmond-Ritual abhalten wolle, zu dem alle eingeladen sind. Im Mail schrieb sie dann unter anderem: «Der August-Vollmond ist einer der wichtigsten Vollmonde für Schamanen in Nepal. Sie pilgern zum Heiligen Berg, um die Geister zu ehren und sich von ihnen Kraft und Schutz zu erbitten. Andere Pilger danken für erfüllte Wünsche. Dieses Jahr ist JB in Europa und möchte ein gemeinsames Ritual mit Interessierten durchführen.  
              Es findet statt auf dem Ruppen zwischen Trogen und Altstätten … bei schlechtem Wetter  im Rösslisaal in Trogen.» 
              
                
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                  Lang war das Wetter schön, aber genau auf dem Vollmond hin kippt es, eine Regenperiode ist angesagt. Es regnet in Strömen. Darum wird das Ritual drinnen vollzogen. Der Rösslisaal ist heute privat, wird aber gebraucht für worshops und Tanzveranstaltungen. Wie ich in den grossen Saal mit Ausblick zum Bodensee komme, sind da schon gegen 20 Leute. Weitere 20 kommen dazu –  verspätet aus Österreich, wo der Schamane derzeit seine Unterkunft hat. Ich beobachte das Pubikum, oder besser die Mitzelebranten und Mitzelebrantinnen. Suchende Menschen um die 30, auch Mütter mit ihren Jugendlichen.  
                    Elisabeth Tröndle begrüsst und gibt eine Einführung. Es wird bedauert, dass der Regen das Ritual im Freien verhindert. Aber schon wird deutlich, dass der Schamane damit spielt, trotzdem raus zu gehen. Der Schamane beobachtete das Kommen der Leute, dann ging er raus und kam zurück in seinen Ritualkleidern - wunderbare Farben, das Spiel mit Weiss und Rot.   | 
                 
               
              
                
                  Janga bahadur Bhandari (JB) setzt sich vor seine rituellen Gegenstände. Er zündet  Räucherwerk an, hängt sich zwei Saddhu-Ketten um und eine Kette mit Glöckchen, dann greift zu seiner Schamanentrommel. Im Zentrum seines Rituals ist  Gesang. Die Trommel, die Glöcklein und die Klangschale, die    sein Schwager im Rhythmus schlägt, inspirieren und tragen den Gesang des Schamanen. Der Gesang ist nicht einfach «schön», sondern kündet von Jahrtausende alten Traditionen, von einer Praxis, die ihre Blütezeit hatte, aber noch immer von dieser Blütezeit zeugt und uns erinnern kann, wie der Mensch mit den oberen Welten zusammenhängt.  
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                              Mir scheint, dass die  Gesänge im Wesentlichen vorgegeben sind, tausende Male wiederholt, doch die Situation, in der das Ritual vollzogen wird,  macht es für den Schamanen spannend und mitteilsam. 
                Auffallend ist für mich das Schütteln der Glocken im Sitzen. Da fibriert sein Leib, damit die Glocken erklingen. Eine sitzende Putscha.  
              Nachdem er zuerst lange sitzend gesungen und getrommel hat, steht er auf und singt tanzend, wobei er auch gewisse rituelle Bewegungen ausführt.  
              
              
                
                    
                  
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                  Später animiert er die Anwesenden, mitzutrommeln. Er geht durch den Saal und tritt mit denen, die eine Trommel haben und spielen, in Kontakt, verspielt und kommunikativ. Irgendwann lässt er mitteilen, dass für dieses Ritual das Feuer fehle. Es habe aufgehört zu regnen. Doch er beginnt noch einmal einen Durchgang mit seinem Tanzen und Singen. Dann ruft er zum Aufbruch, hin zum Hügel.   
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                  Die grosse Gruppe von über 40 Leuten macht sich auf den Weg zum Ruppen – mit etwa 10 Fahrzeugen.  Schon beim Parkieren beginnt es zu regnen. Es dauert, bis alle da sind zum gemeinsamen Marsch hinauf zum Ruppen. Dann zieht eine grosse Kolonne hoch. Ich erhalte Dach unter dem Regenschirm einer Vorarlbergerin und erfahre, dass sie erstmals so etwas erlebt. Angesprochen auf ihren katholischen Hintergrund und dessen Rituale meint sie, dass diese Kirchenrituale abgedroschen seien, sie nicht berühren, hingegen finde sie hier etwas, das sie fasziniere. Sie ist über Freundinnen dazu motiviert worden, zu diesem Vollmondritual zu fahren und den  weiten Weg auf sich zu nehmen. Der Pfad zum vorgesehenen Ritualplatz ist pflutschig, es ist dunkel. Aber alle kommen oben gut an. Es blitzt in der Ferne, der Donner folgt lange später.    | 
                 
               
              
                
                  Das im Ruppen gelagerte Holz ist nass. Trotzdem bemühen sich drei, vier Personen, das Feuer zu entfachen. Es gehört zum August-Vollmondritual. Tatsächlich gelingt es, das Feuer anzuzünden. Hin und wieder bin ich geneigt, einzugreifen, um das Feuer lebendig zu halten. Bal bahadur Gurung, der Schwiegersohn des Schamanen, übernimmt die Führung am Platz. Er fordert die Versammelten auf, einen Kreis um das Feuer zu bilden     und im Rhythmus der Trommel im Urzeigersinn sich um das Feuer herum zu bewegen. Der Schamane singt zum Rhythmus der Trommel, ähnlich wie unten im Saal. Es regnet im Strömen, nicht fern sind Kuhglocken zu hören.   
                    Das Ritual in der Höhe am Feuer unter dem unsichtbaren August-Vollmond 2007 ist Europa gewidmet. Der Begleiter des Schamanen fordert die Anwesenden auf, ihren Beitrag einzubringen, die Vielfalt der Kulturen in Europa zum Leben zu bringen.  
                     
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              Drei Beiträge kommen aus der Runde, ein Lied aus Österreich, eines aus Deutschland und der Schweiz, ich bringe noch eine Improvisation zu den Kuhglocken ein. Dann beendet der Begleiter das Ritual, wohl auch in der Ahnung kommender Regengüsse. Er ist dankbar, dass es überhaupt zum Feuer kam. Tatsächlich beginnt es sogleich in Strömen zu regnen. Wieder finde ich unter dem Schirm einer Österreicherin Zuflucht. Unser Gespräch, so gut wir uns mögen, beschränkt sich auf die pragmatische Wegfindung und die Mühe, nicht umzufallen im strömenden Regen. 
              
                
                    
                  
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                  Nochmals sammeln sich alle im Rösslisaal. Ich bin durch und durch nass. Es folgen Nachrichten über das Ritual, über das Mädchen- und Frauenprojekt in Nepal, für das die Kollekte bestimmt ist, und zu   Reisen nach Nepal, die    Bal bahadur Gurung anbietet. Der durchnässte Schamane geht sich endlich umziehen. Wie er frisch angezogen zurückkommt, ist er voller Schalk und Unternehmungslust.  | 
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               Er motiviert zum Tanz, lacht und spricht seine wenigen Brocken Englisch, um mit uns die positive Stimmung zu teilen.  
               
              Der Gesang des Schamanen
               Es war erlebbar, dass der Schamaismus eine Technik ist, eine psychische Methode zur Erfahrung höherer Zusammenhänge.   Um in den Zustand dieser höheren Zusammenhänge zu gelangen, sind Überlieferungen, Kenntnisse, Aneignungen und Aktualisierungen nötig.    Bei diesen Anforderungen spielt das Trommeln und Singen eine zentrale Rollt. Der Rhythmus gibt die Schwingung der Weltschöpfung, der Gegebenheiten. Der Gesang führt darüber hinaus, indem er dem Herzen entspringt, der Sehnsucht,    für seine Umgebung heilend tätig zu sein.   
                Der Gesang ist in diesem Schamaismus gegeben, wenn auch nicht normiert. Da walten mündliche Traditionen, aberk keine Orthodoxie. Der Schamaismus lebt von der Verwirklichung der jeweils neuen Generation und der je neuen Situation.  Es geht nicht um Inhalte, sondern um die Kraft, welche die Rituale  frei setzen. …  
              Dass der Schamane tatsächlich Organ von höheren Geistern wird, um diese der Gemeinschaft erfahrbar zu machen in verschiedener Art,   ist für mich einleuchtend. Ich meine, dass wir ohne hin fortwährend in Geistkommunion leben mit dem, was wir an geistigen Potenzen anziehen, auch im Alltag. Darüber habe ich keinen kleinen Text geschrieben. Anlass war die Frage einer 16-jährigen, wohin der Schmane reist. Meine Antwort war ein E-Mail.  
              Wohin reist der Schamane?
              Wohin reist der Schamane? – Eine spannende Frage, die mich herausfordert. 
  Dabei will ich so verständlich und kurz wie möglich antworten. 
              Ich kann nur wiedergeben, was ich selber zu diesem Thema gelesen habe und 
                was mir dabei eingeleuchtet und sich in meinen Erfahrungen bestätigt hat. 
              Der Mensch ist Eins, und doch zusammengesetzt. Wie die Schöpfung aus Himmel 
                und Erde besteht, so ist auch der Mensch eine Mischung von Himmel und Erde. 
                Er hat einen himmlischen Anteil, den wir kaum kennen, der aber zu uns 
                gehört, und er hat einen irdischen Anteil, den wir zu kennen meinen. 
              Mit unserem oberen, himmlischen Anteil verbinden wir Worte wie Geist, Seele 
                oder Ebenbild Gottes. Bei dem unteren Anteil denken wir eher an unseren 
                Leib, den Körper, den wir von unsern Vorfahren ererbt haben, der aber ebenso 
                Ebenbild Gottes ist. 
              Nun gibt es die Erfahrung und die Lehre, dass der obere und untere Teil im 
                Menschen nicht immer in gleicher Weise verbunden sind. Wir leben im Rhythmus 
                von Wachen und Schlafen. Es wird gelehrt, dass im Schlaf der obere Teil des 
                Menschen, die Seele oder der Geist, in das Seelenreich und Geisterreich 
                geht, um dort in einer höheren Umgebung Kontakte zu pflegen und Impulse zu 
                empfangen und in der himmlischen Schule zu lernen. 
              Beim Aufwachen kehren wir zurück in das irdische Leben und denken wieder mit 
                dem Gehirn. Was wir in der Nacht erlebt haben als Seele und Geist in den 
                oberen Welten, das ist zur Hauptsache vergessen und soll, wie es scheint, 
                dem Inhalt nach auch vergessen werden. Aber es bleiben Impulse, 
                Grundstimmungen, Lebensentscheide, Grundideen, und manchmal verbleiben vom 
                Übergang an der Grenze Traumbilder, welche Jenseitserlebnisse in die 
                Diesseitssprache zu übersetzen versuchen. 
              Der Schamane erlebt nun genau diese Reise seines inneren Kerns in die obere 
                Welt, aber nicht einfach schlafend und träumend im Tiefschlaf, sondern bei 
                einer Zeremonie künstlich erzeugt. Seine Seele löst sich aus der 
                Abhängigkeit vom Körper und vom Gehirn durch bestimmte Praktiken und 
                Übungen, aber auch durch Veranlagung (die Fähigkeit ist oft vererbt). 
                Äusserlich wird der Schamane dabei wie bewusstlos. Aber er schläft nicht, 
                sondern kann dabei stehen, tanzen, singen oder reden - obwohl er ausser sich 
                ist in andern Welten, wo er in Kontakt ist mit den Kräften und Energien, die 
                sich durch ihn dem versammelten Kreis mitteilen wollen - oft durch recht 
                wilde Kundgebungen und Laute. 
                Das können auch  banale Geister oder Kräfte sein, die sich da manifestieren. 
                Der Schamane macht sich in seiner schamanistischen Reise zum Sprecher der 
                Kräfte und Mächte, die herbeigerufen worden sind, die kommen oder die da 
                sind.  
              Der Schamanismus ist eine uralte Praxis, die für uns auch befremdlich wirkt 
                und sicher nur teilweise sinnvoll und nützlich ist. 
                Ich meine, dass  wir einen freien und mündigen Umgang mit unserer höheren 
                Natur pflegen sollen und einen Schamanen nur bedingt brauchen. 
                Aber wir können vom Schamanen lernen, dass der Mensch Bürger zweier Welten 
                ist, aber was von der höheren Welt in solchen Zeremonien zu erfahren ist, 
                kann für unser Leben inhaltlich kaum von Nutzen sein. 
              Warum? – Weil wir selber die Stimme aus dem Jenseits erfahren müssen und 
                können. Das ist meine feste Überzeugung. Denn jede Nacht reist unsere Seele 
                selber, wie beim Schamanen, in die Himmelswelt. Da kann sie weilen, wo 
                eigentlich ihr Heim und Sein ist, wo ihr Gott ist - zusammen mit allem, was 
                die Welt ausmacht. Die Religionen lehren, dass da die Götter und Göttinnen 
                sind, auch alle Verstorbenen, auch die Engel und die Ursprungskräfte der 
                Schöpfung und der Engel unseres eigenen Lebens, der über uns wacht und mit 
                uns hofft.  
              Je nachdem, wie unser Tag abläuft, je nach Begegnungen, Ideen, Lektüren und 
                Liebesbekundungen sind wir in der Nacht mit den Kräften vereint, die wir 
                lieben und von denen wir befruchtet werden möchten. Es ist ein Geschenk, im 
                Tiefschlaf von grossen Ideen und leitenden Geistern inspiriert zu werden. 
                Diese sind sehr wach und schauen, wo jemand ihre Kraft in die Welt tragen 
                kann. Diese Menschen befruchten sie im Tiefschlaf mit Impulsen. 
              So können diese begnadeten Menschen dann im Leben solche Impulse umsetzen. 
                Sie erkennen ihre Absicht als ihr eigenstes Wollen und Können, doch sie sind 
                dabei voller Dankbarkeit und Respekt für den Himmel, denn sie ahnen, dass 
                sie solches Wirken den himmlischen Mächten verdanken. 
              Entschuldigung! Nun wurde ich doch recht ausführlich. 
                Hier die Zusammenfassung: Die Schamanen reisen in die ausserkörperliche Welt 
                der Seele und der Geistes, um von dort her unabhängig von irdischen Normen 
                und Konventionen höheren Mächten Stimme zu geben. Doch wir selber werden zu 
                dieser höheren Stimme, wenn wir nur aufmerksam sind auf das, was uns im 
                Tiefschlaf durch unsere nächtliche Himmelsreise offenbart wird. Dazu müssen 
                wir uns gar nicht extra anstrengen, denn diese Inspiration geschieht 
                sowieso, je nach dem, wie bereichert und fragend vom Tag her wir in den 
                Schlaf gehen.  
              Mit lieben Grüssen, Andreas 
               
               
                
			  
			     
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