2. St.Galler Werkwoche für Gregorianischen Choral: Sa. 7. bis Mi. 11 Juli 2007
Mit Prof. Dr. Franz Prassl, Graz nd Assistent Mag. Ondrej Mucka, Brno,
organisiert von Hans Eberhard, Domkapellmeister
Der Kurs wollte gemäss Prospekt (>>> Programm als PDF): «Erfahrungen mit einer Form von
Kirchenmusik vermitteln, die heute eher am Rand der
kirchenmusikalischen Praxis steht, jedoch mit ihrer
Kraft und Ausstrahlung über 1000 Jahre die Musik
der westlichen Kirchen geprägt hat. Der Kurs soll helfen, die geistliche und ästhetische Kraft der
Gregorianik zu entdecken und zu erfahren, um diesen
Gesang als Bereicherung für die persönliche
Spiritualität und für eigene liturgische Praxis wieder
zu entdecken.
Zu den Kursinhalten: «Eine Einführung in die Welt des gregorianischen
Chorals: sein Platz im Gottesdienst gestern und
vor allem heute; seine Spiritualität als Modell für
heutiges Christsein; Musik aus dem Geist der Bibel,
besonders der Psalmen; zeitgemäße Interpretation
gregorianischer Gesänge auf dem Hintergrund seiner ältesten Überlieferung, vor allem der Handschriften
aus St.Gallen; Einführung in die Notation der
Gesänge (Quadratnotation, St.Galler Neumen);
Singen in der Gruppe, tägliche Gottesdienste mit
deutscher und lateinischer Gregorianik. … Die
Abschlußmesse wird als Choralamt gestaltet …»
Der Kurs ist mit 250 Franken – inklusive einem Nachtessen und einer Führung durch die Handschriftensammlung der
Stiftsbibliothek – günstig, in der Regel wurde von morgens 8.30 bis 19 Uhr abends gearbeitet. Geplant ist auch eine 3. Choralwoche im Jahr 2008 >>> https://www.kirchenmusik-sg.ch
Praktische Arbeit und Grundlagen
Wir erhielten ein Arbeitsbuch mit kopierten Originaldokumenten aus dem Mittelalter, mit einer Einführung in die Quadrat-Notation und vielen Seiten zu den Neumen, welche die musikalische Interpretation unterstützen. Dieses Arbeitsbuch begleitete die «Grundlagenarbeit», die täglich zwei bis drei Stunden dauerte. Weiter arbeiteten wir mit der «Tagzeitenliturgie» für die Tage vom 7. bis 11. Juli und übten die schwierigen Gesängen für den Hl. Benedikt, dessen Tag der 11. Juli ist.
Hans Eberhard, der St.Galler Organisator, war besorgt für einen perfekten Ablauf. Während allen Tagen war jemand vom Musik Hug vor Ort mit entsprechender Literatur und CDs. Die Integration in das gottesdienstliche Leben in der Kathedrale gab dem Kurs eine geistliche Dimension. Eindrücklich war für mich auch, den Professor Dr. Franz Karl Prassl aus Graz in seiner Begeisterung für den Gregorianischen Choral zu erleben. Überzeugende war seine praktische Kompetenz als Dirigent wie auch sein akademischer Vortrag, gespickt mit Anektoten und biblischen Perlen. Musikalisch war sein Assistent Mag. Ondrej Mucka eine besondere Offenbarung und wertvolle Stütze. |
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Von der Überlieferung und der Praxis des gregorianischen Chorals
Franz Karl Prassl hat uns viel über die Überlieferung des gregorianischen Chorals erzählt. Das ist sein Spezialgebiet, wissenschaftlich wie auch praktisch. Was er lehrte, haben wit stets auch gehört oder selber gesungen. Das war ein Stärke dieses Kurses.
«Was man singt, soll man glauben, was man glaubt, soll man singen.» (Augustins) Der Zusammenhang von Singen und Glauben deutet auf die spirituelle Dimension dieses Gesangs, der in den Klöstern des frühen Mittelalters entwickelt worden ist. Dass die Forum auf Papst Gregor zurückgeht, sei eher eine Legende. Im Kern war dieser Gesang im 8. Jahrhundert ausgebildet und wurde über ganz Europa vereinheitlicht - teils mit rabiater Machtpolitik. Pipin habe die «cantilena romana» allgemein vorgeschrieben. Die ältesten Quellen stammen aus Metz in Nordfrankreich, 100 Jahre später, etwa um 800, wurden in St.Gallen massgebende Neumen entwickelt. Diese Zeichen sagen nicht, wie man singen soll, sondern nur, wie man den besser und richtig singt, wo die Betonung ist, wie sich die Tempi in jedem Wort verhalten. Dieser Gesang ist völlig ohne Rhythmus. Die Sprache gibt alles vor, sodann die theologische Ausdeutung der Verse.
Lange habe die Kirche den gregorianischen Choral vereinfacht, um ihn eher zu verbreiten. Dabei wurde jede Silbe mehr oder weniger gleich lang betont, es fehlte die Dynamik. Erst in den 50er Jahren hätten die Mönche von Solem die Frage der richtigen Interpretation neu aufgeworfen. Seit dem 70er Jahren habe man ein klares Bild über die Interpretation der Neumen, welchen seither viele gelehrte Abhandlungen gewidmet sind.
Wir hörten an zwei Abenden CD's. Mir schienen sie alle recht ähnlich. Unsere Diskussion zeigte Nuancen, Prassl hat uns viel über die Interpreten (aus Italien, Frankreich, der Schweiz, nordischen Ländern und Japan) erzählt. Auch er hat seine Formation in Graz.
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Von der bleibenden Bedeutung der Gregorianik
«Warum singen wir dieses alte Zeug noch immer?» - Prassl gab drei Antworten:
1. Die Greogrianik ist ein klassisches, zeitloses Beispiel, wie Musik in der Liturgie sein soll. Sie ist Audruck der liturgischen Theologie.
2. Die Gregorianik hat einen pädagogischen Effekt, da sie uns lehrt, wie wir heute Kirchenmusik machen müssten. Denn echte Kirchenmusik umramt nicht einfach, sondern ist selber Teil der Liturgie durch ihre Deutung der Bibeltexte und des Messtextes.
3. Die Gregorianik hat auch einen kulturellen Wert. Sie ist eine hoch artifizielle, professionelle Kunst, die sich nicht profanisieren lässt. Sie bleibt Vorbild für die Aufgabe, Heiliges auszudrücken und den Kontrast zum Profanen bewusst zu machen.
In diesem Zusammenhang haben wir auch die neuen Gesangbücher besprochen mit der lange verhandelten Frage, was echter Kirchengesang ist.
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Singen, was man glaubt
Das 1. Bild nebenan stammt aus der Sonntagmesse vom 8. Juli in der Kathedrale. Hier dirigiert Assistent Odrej Mucka den Teilchor, der regelmässig in St.Gallen Gregorianik pflegt. Das 2. Bild unten zeigt unsern Kursleiter mit Dompfarrer Josef Raschle im Chorraum, wo wir am die Abschluss-Messe für den Hl. Benedikt feierten.
Ich habe in diesen Feiern die geistliche Kraft der schlichten Gesänge gespürt. Im Vergleich zu allem anderen, dem Bau, den Zeremonien und den Wortbeiträgen hat die Gregorianik etwas Überzeitliches und Objektives. Nicht von ungefähr wird sie auch von weltlichen Chören sogar in Japan geschätzt. Wie eine Musik von Johann Sebastian Bach ist sie in ihrer Darstellung des Heiligen universal verständlich, unabhänig von Religion und Konfession. Warum also sollten wir Reformierten und vor dem gregorianischen Choral fürchten? Er gehört zur Kirche, zum besten Erbe, wie die altchristliche Theologie selber. Es ist die gesungene, die gefeierte Schriftoffenbarung, die uns, wie Prassl sagte, daran erinnert, worin der Gottesdienst gründet: Im Singen der geglaubten Offenbarung.
(18.Juli 2007)
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